Ein Haus versorgt sich selbst
Mainova hilft als Contracting-Partner bei der autarken Versorgung mit Elektrizität und Wärme bei einem Mehrfamilienhaus in Liederbach.
Es ist Winter in Liederbach am Taunus. Nachts gibt es Dauerfrost, tagsüber wird es kaum wärmer. Die Sonne geht erst um halb neun auf, um halb fünf geht sie schon wieder unter. Und in den wenigen Stunden fehlt ihr häufig die Kraft, die dicke Wolkenschicht zu durchbrechen. Hätten die Mieter die 16 Wohneinheiten des Neubaus in der Heidesiedung bereits bezogen, sie müssten nun beinahe rund um die Uhr heizen. Auch der Stromverbrauch würde steigen, weil die Lichter länger brennen und die Bewohner mehr Zeit zu Hause verbringen. „In der dunklen Jahreszeit wird der Belastungstest stattfinden. Dann wird sich zeigen, ob die Anlage optimal justiert ist“, sagt Sander Schwick, Projektleiter bei Mainova für erneuerbare Energielösungen. Das Ziel ist anspruchsvoll: Das Haus soll sich selbst mit Strom und Wärme versorgen.
Energieeffizienter Neubau
Die Initiative für den Neubau des Mehrfamilienhauses mit 16 Wohnungen ging von der Kommune aus, um dem Mangel an Wohnraum zu begegnen. Liederbach liegt gut 20 Autominuten von der Frankfurter City entfernt, entsprechend hoch ist die Nachfrage. Ziel der Gemeinde war es, nachhaltigen Wohnraum zu schaffen: barrierefrei, klimaschonend, von der staatlichen Förderbank KfW als „Effizienzhaus 40 plus“ zertifiziert. Das bedeutet, dass sich das Haus selbst mit Strom und Wärme versorgt. Um das technisch zu gewährleisten, wandte sich die Kommune an die Mainova AG, die für das Pilotprojekt in Liederbach ein neues Mieterstrommodell entwickelte: Auf Wunsch beziehen die Bewohner Strom und Wärme, die vom Haus selbst erzeugt wird.
Der Ausgangspunkt des autarken Energiesystems befindet sich auf dem Dach des Mehrfamilienhauses, wo eine Photovoltaik-Anlage Strom mit einer Peakleistung von 46 Kilowatt erzeugt. Ein Wechselrichter macht die elektrische Energie für die Haushalte nutzbar, der Strom fließt in die Wohnungen und wird darüber hinaus für die allgemeine Beleuchtung oder den Lift genutzt. Eine weitere Abnehmerin befindet sich im Keller, wo der Strom aus der Solaranlage eine elektrische Wärmepumpe antreibt, die das Haus mit Heizungswärme und warmem Wasser versorgt. „Sektorenkopplung“ nennen Energiefachleute diese Verbindung von Strom und Wärme innerhalb einer Anlage. Bleibt dann noch elektrische Energie übrig, fließt diese in einen Batteriestromspeicher mit einer Kapazität von knapp 20 Kilowattstunden. „Das System ist so konfiguriert, dass im Idealfall tagsüber ein gewisser Strom-Überschuss anfällt, der dann von Mietern abends und nachts verbraucht wird“, sagt Sander Schwick. Installiert wurden die Komponenten von der Mainova-Beteiligung Lorenz Energie.
Ziel ist die energetische Autarkie
Nun ist Photovoltaik kein Wunschkonzert, die Sonne hält sich nicht an die Pläne von Energiesystemtechnikern. „Um auf Nummer sicher zu gehen, ist das Mehrfamilienhaus daher zusätzlich ans öffentliche Versorgungsnetz angeschlossen“, sagt Sander Schwick. Ist der Speicher voll, wird der überschüssige Strom dorthin eingespeist. Im Fall der Fälle kann das Haus auch elektrische Energie beziehen. Doch beides sollen Ausnahmefälle bleiben. „Ziel des Systems ist die Autarkie“, sagt Sander Schwick. Sprich: Der Strombedarf des Hauses entspricht ungefähr der gewonnenen Energie, der Speicher gleicht Schwankungen aus – und das öffentliche Netz übernimmt lediglich die Rolle einer Absicherung. Damit diese Rechnung aufgeht, muss die Photovoltaik-Anlage auf dem Dach rund doppelt so viel Strom erzeugen, wie die Haushalte benötigen. „Denn dann wird neben dem Mieterstrom noch genügend elektrische Energie für die Wärmepumpe sowie für die zwischenzeitliche Speicherung zur Verfügung stehen.“
Den Speicher im Keller beschreibt der Mainova-Projektleiter als „schlankes Gerät, zwei Meter hoch, nicht sperriger als ein Regal“. Noch vor zwei, drei Jahren wäre eine Batterie dieser Kapazität für den Hausgebrauch kaum bezahlbar gewesen.
„Die Technik für Stromspeicher hat aber in den vergangenen zwei Jahren große Fortschritte gemacht, sowohl mit Blick auf die Kapazität als auch auf die Preise“, sagt Sander Schwick – und prognostiziert, dass sich energieautarke Mehrfamilienhäuser wie dieses Pilotprojekt in Liederbach schon bald häufiger finden lassen.
App sorgt für Transparenz
Mainova ist als Contracting-Partner an Bord. „Wir sind für die gesamte Energielösung verantwortlich, also für die Versorgung, das Management sowie die Abrechnung“, erklärt Sander Schwick. Geht etwas kaputt oder gerät das System aus der Balance, sind der Frankfurter Energieversorger und seine Partnerunternehmen gefragt. Umsatz generiert das Unternehmen bei diesem Projekt durch langfristige Lieferverträge für Strom und Wärme, wobei die Mieter natürlich freie Wahl haben, ob sie sich an dem Modell beteiligen oder nicht. „Natürlich wäre es gut, wenn möglichst viele mitmachen, wobei wir zu Beginn mit einer Quote von 50 % kalkulieren“, sagt der Mainova-Experte.
Erkennen die Mieter dann, dass das autarke Energiesystem auch an kurzen, kalten und sonnenlosen Wintertagen funktioniert, sieht Sander Schwick gute Chancen, dass die Beteiligung stetig wächst. Zumal Mainova den Mietern digitale Transparenz bietet: Eine App zeigt den Bewohnerinnen und Bewohnern zu jeder Zeit an, wie viel Strom das Haus derzeit erzeugt und wie hoch der Verbrauch ist. Statt nur einmal im Jahr die Stromrechnung zu zahlen, erhalten die Mieterinnen und Mieter also in Echtzeit Einblicke ins Energiemanagement. Vorbei die Zeit, als Energiesysteme als „Black Box“ ihren Dienst verrichteten. „Diese Transparenz“, sagt Sander Schwick, „gibt uns die Chance, immer nachhaltiger zu wirtschaften. Und das hilft sowohl den Menschen als auch dem Klima.“